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Die Welt besser verstehen – Harari, Zuboff, Snyder - zum Lesen empfohlen

Ein Wesensmerkmal unserer Zeit ist die Flut an Informationen, denen wir ausgesetzt sind. Wir ertrinken in Informationen. Gleichzeitig hat kaum noch jemand den Durchblick. Die Herausforderung heisst, sich selber im Informationsüberfluss ein möglichst grosses Maß an Klarheit zu verschaffen. Das bedeutet auch, an die Informationen zu gelangen, die es leichter machen, Fakten von interessenbestimmtem Infotainment und Lügen zu unterscheiden. Dafür bedarf es Hintergrundwissen. In meinem Bücherregal finden sich einige Empfehlungen:

Harari Zuboff Snyder
Mir selber haben in den vergangenen Monaten insbesondere drei Autor*innen geholfen, die Welt um mich herum besser zu verstehen:

 

Beginnen möchte ich mit Yuval Noah Harari, der als Historiker seinen Blick in die Geschichte der Menschheit schweifen lässt und durch seine undogmatische Herangehensweise Aspekte beleuchtet, deren Betrachtung dazu beitragen, unsere aktuelle Situation plötzlich aus einer anderen Perspektive zu sehen, als wir es bisher taten. Yuval Noah Harari Eine kuUnd so heisst sein 2011 erschienenes Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ und beschreibt auf etwa 500 Seiten 100.000 Jahre Homo Sapiens. Ja, 100tausend Jahre – denn wer meint, die Wiege der Menschheit wäre mit dem Beginn unserer oder irgendeiner anderen Zeitrechnung eines existierenden Kulturkreises identisch, befindet sich (noch) in der Blase der eigenen Vorstellungen. Dabei hatten unsere Vorfahren, die im Austausch mit der Natur lebten, sogar ein grösseres Gehirn als wir. Das Individuum musste damals viel komplexer denken, als wir es heute zum Überleben brauchen. Wie alle Bücher Hararis ist hier Geschichte u.a. auch wegen vieler amüsanter Exkurse einfach zu lesen. Wer sich z.B. einmal mit der geschichtlichen Entwicklung des Rasens beschäftigt hat, wird den Schmuck vieler Gärten vermutlich in Zukunft ganz anders betrachten.

In 2017 erschien Hararis zweites Buch, „Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen“. In ihm geht es um die aktuellen Herausforderungen der Bio- und Informationstechnologie. Yuval Noah Harari Homo DeKonkret sind wir als Menschen zum aktuellen Zeitpunkt dabei, die Kontrolle an Instanzen abzugeben, die wir niemals dazu autorisiert haben, unser Leben zu beherrschen und zu gestalten. Wir erleben eine Akkumulation von Besitz in den Händen ganz weniger Menschen. Es bildet sich eine Elite heraus. Diese Gruppe der Gesellschaft hat die finanziellen Ressourcen und die technischen Mittel, durch eine Verbindung zwischen Mensch und Maschine ein Wesen zu schaffen, das dem Homo Sapiens, wie wir ihn kennen, bei weitem überlegen ist. In der Konsequenz dieser Entwicklung ist es wahrscheinlich, dass das Verhältnis zwischen dem von Harari genannten Homo Deus zum uns bekannten Homo Sapiens ähnlich sein wird, wie unser aktuelles Verhältnis zu domestizierten Tieren. In anderen Worten: Eine kleine Gruppe von Übermenschen macht mit uns, was wir aktuell mit Tieren tun. Homo Sapiens in der Rolle des Mastkalbs. Klingt nach Science Fiction? Nein, wir stehen wirklich vor der Entscheidung, ob wir den Menschen, wie wir ihn heute noch als Menschen definieren, in Kürze aufgeben wollen.

Einen wesentlichen Beitrag zu dieser Entwicklung leistet jeder von uns, der im digitalen Bereich Angebote nutzt, die „umsonst“ angeboten werden. Damit meine ich z.B. die Nutzung der Angebote von Google, Youtube, Facebook, Whatsapp oder Instagram. Wobei sich hinter diesen 5 Markennamen letztendlich nur zwei Firmen, nämlich Google und Facebook verbergen. Wir wähnen uns als Nutzer dieser Angebote, während wir in Wirklichkeit durch unsere Nutzung das Produkt sind. Dieses Produkt, bestehend aus unseren Daten(spuren), verkaufen Google oder Facebook an ihre Kunden, die uns immer individuellere und damit überzeugendere Anregungen geben, unser Geld und unsere Aufmerksamkeit in deren Produkte oder Dienstleistungen fliessen zu lassen. Wir setzen die aktuell das Internet dominierenden Firmen durch unsere grosszügigen Spenden an Datenmaterial immer mehr in die Lage, uns so geschickt zu manipulieren, dass auch ich mir nicht mehr zutrauen würde, so eine Manipulation zu durchschauen.

Shoshana Zuboff Das ZeitaIn den vergangen Jahren wurden auf der Basis der gezielten Manipulation von Individuen Wahlergebnisse erzielt, die es ohne „soziale Medien“ in der Hand von selbsternannten Weltverbesserern nie gegeben hätte. Ergebnis dieser Form von Beeinflussung ist u.a. der Ausgang der amerikanischen und der brasilianischen Präsidentschaftswahlen, als auch die Entscheidung Grossbritaniens, die EU zu verlassen. Wer zu diesem Themenkomplex Hintergrundwissen sucht, kommt um Shoshana Zuboffs „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“ nicht herum. Zuboff hat in mehrjähriger Recherche auf über 700 Seiten das wohl umfassendste aktuelle Werk zu diesem Thema geschaffen. Und mit grosser Wahrscheinlichkeit greift auch die Taschenlampe auf Deinem Smartphone Daten von dir ab, die irgendjemand, von dem Du nichts weisst, an irgendjemanden, von dem Du ebensowenig weisst, mit einem Ziel, von dem Du auch nichts weisst, verkaufen wird …

 

Auch die aktuelle politische Lage ist schwer durchschaubar. Hier liefert Timothy Snyder Hintergrundinformationen, die mir insbesondere zur Position des aktuellen russischen Präsidenten und seiner Einflussnahme auf die Politik weltweit vieles deutlich gemacht hat, was ich vorher nirgends erfahren habe. Timothy Snyder Der Weg inDas Denken Putins und seine ideologischen Wurzeln zu verstehen bedeutet, die Gesamtlage in Europa und den USA besser zu verstehen. Snyder analysiert, wie Putin Konflikte erfindet, um von den internen Problemen seines Landes abzulenken. Homosexuelle und Juden werden wieder als Feinde aufgebaut. Gleichzeitig findet eine permanente Einmischung in die Politik anderer Staaten statt - der aktuelle amerikanischer Präsident, der Ausstieg Grossbritaniens aus der EU, der Aufstieg rechtgerichteter Parteien in Deutschland, Italien, Frankreich und in anderen Ländern – das alles ist laut Snyder in Putins Interesse. Dafür führt Russland einen Cyberkrieg, den es so nie zuvor gegeben hat. Snyder übersieht an manchen Stellen vielleicht Faktoren, die auch Teil des Ergebnisses sind, aber seine Recherchen sind gleichzeitig von den Quellen her einzigartig. Wer mehr über diese Themen wie auch die Besetzung der Krim und den Krieg gegen die Ukraine erfahren möchte, wird in diesem Buch Fakten über die Hintergründe finden. Und erfahren, wieso es im Interesse der russischen Oligarchie war, in Syrien zu bombardieren, damit 100tausende von Syrern sich auf den Weg nach Deutschland machten …

 

Yuval Noah Harari 21 LektZurück zu den Büchern von Noah Harari. Im Gespräch mit Leser*innen und den  Besucher*innen seiner Veranstaltungen entstand 2018 sein drittes Buch mit dem Titel „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“. 21 Kapitel beschäftigen sich mit den Schlüsselfragen unserer Zeit, klar strukturiert, einfach und streckenweise unterhaltsam zu lesen. Hier gibt es viele Anregungen, selber weiterzudenken. Das ist für mich eh das Faszinierende an Hararis Büchern – während bei fast allen mir bekannten Autoren, die sich mit der Lage unserer Gesellschaft befassen, ein Gefühl von Ausweglosigkeit dominiert, bleibt Harari seiner sachlichen Gelassenheit treu. Er überlässt es der Leser*in, sich zurückzulehnen und die weitere Fahrt seines oder ihres Lebens zu geniessen, wenn er oder sie die eigene Zukunft gerne den Algorithmen überlassen möchte. „Wenn du aber noch irgendwie die Kontrolle über dein persönliches Dasein und die Zukunft des Lebens behalten willst, so musst du schneller sein als die Algorithmen, schneller als Amazon und die Regierung, und dich selbst erkennen, bevor sie es tun.“ („21 Lektionen …“, Seite 353)

 

Die Überschrift des 21.ten Kapitel verrät, wie Harari sich den Themen unserer Zeit stellt - es lautet "Meditation". Dabei stellt er klar, dass er Meditation nicht für etwas hält, was für alle funktionieren muss. Aber es ist eben die Basis, die ihm selber die Klarheit und Freude gibt, die in seinen Büchern schwingt. Diese Erfahrung kann ich persönlich sehr gut nachvollziehen …

 

 

Wenn Du auf eines oder mehrere der hier rezensierten Bücher neugierig geworden bist, kannst Du schon beim Kauf des Buches Deine Zukunft mitgestalten: Kaufen bei Amazon ist eine Entscheidung für eine Zukunft als Homo Deus. Ein Buch in einer kleinen Buchhandlung zu kaufen unterstützt das Projekt Homo Sapiens. Schon bei ganz einfachen Dingen wird Zukunft mitgestaltet …

 

Yuval Noah Harari

Eine kurze Geschichte der Menschheit. Übersetzung aus dem Englischen von Jürgen Neubauer. DVA, München 2013, ISBN 978-3-421-04595-9.  

Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen. Übersetzung aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn. C.H.Beck, München 2017, ISBN 978-3-406-70401-7.

21 Lektionen für das 21. Jahrhundert. Übersetzung aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn. C.H.Beck, München 2018, ISBN 978-3-406-72778-8.

 

Shoshana Zuboff

Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus, Campus Verlag ISBN 978-3-593-50930-3

 

Timothy Snyder

Der Weg in die Unfreiheit: Russland, Europa, Amerika, Verlag C.H.Beck   ISBN: 9783406725012

Ein freies Internet?
Die Minijobzentrale sammelt Daten für Facebook
 

Kommentare 2

Gäste - Manfred Gith am Dienstag, 06. August 2019 17:00

Hallo Matthias,
heute habe ich zu meiner Überraschung und Freude die Website Die-Meditierer.org entdeckt. Viele der angesprochenen Ausrichtungen fand ich auch sehr begrüßenswert (Grundeinkommen, neue Formen der demokratischen Willensbildung, …). Auch fand ich die Empfehlung der Harari-Bücher sehr gut, weil Harari für mich die aktuelle Wissenshöhe bezüglich der menschlichen Geschichte darstellt, besonders weil er u.a. Geschichtsschreibung versteht als ein Auflisten der von den Menschen sich erzählten Geschichten. Allerdings möchte ich bezüglich deiner Zusammenfassung seiner Bücher "Homo Deus" und "21. Lektionen..." kritisch anmerken, dass man seine Meinung zum Ich nicht weglassen kann, wenn man an seine Sicht als Meditierer anknüpfen will. Wie wir schon bei Jidda Krishnamurti lernen können, hat auch die klassisch spirituelle Meditation das Ziel gehabt, das Ich zu überwinden, wenn auch mit dem Ziel, sich direkt mit dem Göttlichen zu verbinden. "Sobald wir jedoch akzeptieren, dass es keine Seele gibt und dass Menschen keinen inneren Wesenskern namens «Selbst» oder «Ich» besitzen, kann man nicht mehr sinnvoll fragen: «Wie wählt das Ich seine Wünsche aus?»" […] "Heute sehen wir, dass auch das Ich eine erfundene Geschichte ist, genauso wie Nationen, Götter und Geld." (Homo Deus) Die wichtigste Aufgabe der Meditation ist heute, das eingebildete freie Ich zu überwinden, ohne die Hoffnung, dabei auf Gott, Seele oder wahres Selbst zu stoßen. Auch wenn die humanistische Religion das freie Ich fest in unsere sozialen Strukturen verankert hat, das Ich-Problem also nur kollektiv überwunden werden kann, so können wir in der Meditation doch immer wieder uns beweisen, wie gut und wohltuend es ist, ohne Ich zu sein, wenn auch nur vorübergehend. Ich will hier niemandem meine eigene Sicht auf das Ich aufzwingen, aber wenn man von dem Meditierer Harari spricht, sollte man dessen Sicht auf das Ich erwähnen.
LG Manfred Gith

Hallo Matthias, heute habe ich zu meiner Überraschung und Freude die Website Die-Meditierer.org entdeckt. Viele der angesprochenen Ausrichtungen fand ich auch sehr begrüßenswert (Grundeinkommen, neue Formen der demokratischen Willensbildung, …). Auch fand ich die Empfehlung der Harari-Bücher sehr gut, weil Harari für mich die aktuelle Wissenshöhe bezüglich der menschlichen Geschichte darstellt, besonders weil er u.a. Geschichtsschreibung versteht als ein Auflisten der von den Menschen sich erzählten Geschichten. Allerdings möchte ich bezüglich deiner Zusammenfassung seiner Bücher "Homo Deus" und "21. Lektionen..." kritisch anmerken, dass man seine Meinung zum Ich nicht weglassen kann, wenn man an seine Sicht als Meditierer anknüpfen will. Wie wir schon bei Jidda Krishnamurti lernen können, hat auch die klassisch spirituelle Meditation das Ziel gehabt, das Ich zu überwinden, wenn auch mit dem Ziel, sich direkt mit dem Göttlichen zu verbinden. "Sobald wir jedoch akzeptieren, dass es keine Seele gibt und dass Menschen keinen inneren Wesenskern namens «Selbst» oder «Ich» besitzen, kann man nicht mehr sinnvoll fragen: «Wie wählt das Ich seine Wünsche aus?»" […] "Heute sehen wir, dass auch das Ich eine erfundene Geschichte ist, genauso wie Nationen, Götter und Geld." (Homo Deus) Die wichtigste Aufgabe der Meditation ist heute, das eingebildete freie Ich zu überwinden, ohne die Hoffnung, dabei auf Gott, Seele oder wahres Selbst zu stoßen. Auch wenn die humanistische Religion das freie Ich fest in unsere sozialen Strukturen verankert hat, das Ich-Problem also nur kollektiv überwunden werden kann, so können wir in der Meditation doch immer wieder uns beweisen, wie gut und wohltuend es ist, ohne Ich zu sein, wenn auch nur vorübergehend. Ich will hier niemandem meine eigene Sicht auf das Ich aufzwingen, aber wenn man von dem Meditierer Harari spricht, sollte man dessen Sicht auf das Ich erwähnen. LG Manfred Gith
Matthias Möbius am Donnerstag, 08. August 2019 10:47

Danke Dir für diese Ergänzung!

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Gäste
Mittwoch, 16. Oktober 2024